Der Schatz der vergessenen Fotos
„Etwas hat nur dann einen Wert, wenn man es teilen kann.“
Carlos Ruiz Zafón
Der Schatz der vergessenen Fotos ist eine Sammlung von Bilder, die aus dunklen Winkeln irgendwelcher Schubladen , Schränke, Keller, Festplatten wieder ins Licht gebracht werden.
In der verwegenen Hoffnung, dass sie an ideellem Wert gewinnen, je häufiger sie gesehen werden, werde ich jede Woche 1-2 Fotos hier veröffentlichen.
Außerdem können Sie sich an dem Projekt beteiligen:
– mir Ihre Bilder per Mail zusenden, mit der Geschichte (in wenigen Worten)
und Ihrer ausdrücklichen Erlaubnis, diese zu veröffentlichen
– natürlich können Sie die Bilder auch kommentieren
Bisher eines der geheimnisvollsten Fotos der Sammlung.
Zu dem Bild gibt es nur einen kargen Hinweis. Am Dia-Magazin stand: “Balkan”
Foto: Horst Schwarzer
Ein sehr guter Freund stellte mir diese Aufnahme zur Verfügung: Sommer 1954, seine Eltern, verliebt, Selbstauslöser. Im Verlauf dieses Urlaubs wurde er höchstwahrscheinlich gezeugt. Foto: Familie Funk
Das Foto ist nicht aus einem Film, obwohl es seltsamerweise genauso wirkt. Alice schrieb mir, dass der Text rumänisch sei: “Proletarier aller Länder vereinigt euch” Die Entstehungszeit: um 1960. Foto: Horst Schwarzer
Die Farben des alten Agfa-Dia-Filmes sind schon ein Genuss für sich. Die Telefonzelle aus Holz ist ebenfalls prägnant. Aber… um welche Stadt handelt es sich? Foto: Horst Schwarzer
Etwa 1956. Ungarn oder CSSR? Auto oder Raumschiff auf Rädern? Ich bilde mir ein, selbst junge Betrachter*innen müsste dieses Fahrzeug begeistern. Wer wollte damit nicht zu gern beim nächsten Klassentreffen vorfahren? Ich meine: bevor der Individualverkehr abgeschafft wird und wir in lautlosen Miet-Kabinen fremdgesteuert durch die Gegend schweben. Foto: Horst Schwarzer
Ein Feriendorf. Zwei befreundete Familien sind hierher gereist. Jedoch gibt es ein Problem: Ich weiß zwar von wem ich die Fotos habe, jedoch sind beide mutmaßlich Fotograf*innen im Bild. Foto: Unbekannt
1989, kurz vor dem Mauerfall.
Ich sehe im Augenwinkel, wie eine
alte Dame das Geländer übersteigt . Ich halte sofort an um der alten Frau zu helfen.
Dann sage ich zu Ihr: “Das was Sie da tun ist doch sehr gefährlich, da kann doch
was passieren.” Die alte Dame sagt zu mir: “Junge,” – ich war 44 – “soll ich
alte, achtzigjährige Frau, den riesigen Umweg laufen ? Wie stellst du dir das denn vor ?” Foto und Text: Siegfried Geib
Eine Schachtel mit Blechdöschen, darin die Filme, schon porös. Andere Hinweise auf dem selben Film legen nahe, die chinesischen Reisbauern könnten 1959 fotografiert worden sein, wahrscheinlich in der Nähe der heutigen Metropole Kanton.
Fotograf : mutmaßlich Horst Schwarzer
Auch diese Aufnahme ist ein flüchtiger Augenblick,eine zufällige Begegnung im Balkan vor 68 Jahren. Foto: Horst Schwarzer
Im Vergleich von damals und heute fällt auch auf, dass nicht alles besser geworden ist. Als das Foto in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts entstand, hätte niemand etwas Böses gedacht. Für die Veröffentlichung heute habe ich den unteren Rand des Fotos beschnitten, um einem Sturm der Entrüstung unter den Betrachtern vorzubeugen. Foto: Horst Schwarzer
“Judas”
Ich habe das Foto des Jungen 1984 in Maltas Hauptstadt Valletta aufgenommen. Bei den großen Karfreitagsprozessionen defilieren rund ein Dutzend Statuengruppen mit Szenen aus der Leidensgeschichte des Herrn, z.B.der Judaskuss. Die bedrückte Haltung und Mimik des Jungen hatten meine Aufmerksamkeit geweckt. War er unglücklich mit dem Schild “Judas“, obwohl er ihn nicht repräsentiert, sondern mit dem Schild nur die nachfolgende Darstellung anzeigt?
Foto: Ina Kober
Kommentar, Rainer Jordan:
Es war ein Gedanke von Ansel Adams, der hier so zutreffend ist :
“Es gibt einen Unterschied, ob man ein Bild ansieht, oder in es hinein sieht.”
Denn sieht man in dieses Foto hinein, so scheint der Junge das Unglück jener zu tragen,
die von der Gesellschaft die Rolle des Aussenseiter schon im Kindesalter auferlegt
bekommen.
Wieder so ein Rätselbild: Die Straßenszene zur Zeit des Wirtschaftswunders zeigt auch diesen so markanten Brunnen, aber, in welcher Stadt steht er ?! Die Aufnahme ist auch aus dem Nachlas der Familie Schwarzer
Vielleicht die lustigste Fischverkäuferin Frankreichs. Ab und zu wird einem mit etwas Schwermut bewusst, dass der Fotoapparat die Zeit anhält, so wie es Einstein in einem schwarzes Loch vermutet. Wie man an der Brille der Kollegin vermuten kann, ist die Aufnahme etwa 60 Jahre alt. Ich entdeckte sie in einem Dia-Archiv , das ich schon vor einem 1/4 Jahrhundert auf dem Flohmarkt gekauft hatte.
Es gibt Bilder mit Musik. Beim Betrachten dieser Aufnahme höre ich sie, auch wenn sie nicht immer dieselbe ist, sondern sich meiner jeweiligen Stimmung anpasst. Auf dem Dia-Rahmen – eigentlich zwei mit Textilklebeband verbundene Glasplättchen – steht, mit Bleistift geschrieben: „VERONA“
Manche Farben „reifen“ mit der Zeit. Der Farbstich dieses etwa 60 Jahre alten Dias hat sich erst später und ohne mein Zutun eingestellt. Besser hätte es nicht sein können.
Ein Art Städteportrait wahrscheinlich von Bad Windungen, vermutlich in den 1950er Jahren. Heute dreht sich ja kaum noch jemand nach einem Fotografen um. Bildautor: nicht bekannt.
Straßenfotografie ca. 1960. Ich höre den Pfiff durch die Zähne des jungen französischen Polizisten. Paris und die Liebe. Was steht rechs oben : „La chambre syndicale…“?!
Der Amateur-Fotograf Horst Schwarzer (dessen Schatten sich im Bild bemerkbar macht) muss ein Menschenfreund gewesen sein, der völlig unverkrampft auf die unterschiedlichsten Menschen zuging und für den man gerne posierte. Balkan, 1950
Eigentlich bin ich kein Fan von Kinderfotos. Aber auch hinter diesem Foto gibt es ein Geschichte:
Im Bildernachlass des Ehepaar Schwarzer fand ich oft Aufnahmen von Kindern, die sie mit großer Wahrscheinlichkeit persönlich nicht kannten. Meist spontan auf der Straße fotografiert, (hier mit einem sehr gelungenen Bildaufbau). Dies erklärt sich auf tragische Weise: das gemeinsame Kind starb mit wenigen Monaten bei einem häuslichen Unfall. Somit gab es auch für ihren Bilderschatz keinen Erben. Auf Umwegen kamen er in die Hände eines Freundes. Foto: Herr oder Frau Schwarzer
Wo immer auch Horst Schwarzer mit seiner Kamera auftaucht wird gelächelt, auch inmitten der schlammigsten Umstände. Eine seltene Gabe.
Das interessante an der Aufnahme ist der S-Bahnhof. Ich kam darauf, weil die Aufnahme auf 1975 datiert wurde. Dies konnte nicht sein. Denn bereits im Januar 1975 war der Bahnhof an dieser Stelle in Berlin geschlossen worden, man hatte ihn etwa 500 m nach Süden verlegt. Im Januar konnte die Aufnahme aber auch nicht gemacht worden sein, darauf weißt ja eindeutig die Badetasche hin. Tatsächlich war sie bereits im Sommer 1974 entstanden. (Ich habe mir nichts ausgedacht, fragen Sie bitte den Fotografen Peter Funk.)
Es handelte sich tatsächlich um einen besonderen Einsatz der Ordnungshüter. Diesmal möchte ich die Hintergründe nicht erklären, denn es hieße das Foto zu entzaubern. Jedoch gibt es ausgerechnet einen Schatten, der sozusagen „Licht ins Dunkle bringt“ und das seltsame Verhalten der Polizisten erklärt. Foto: Rainer Jordan 1995
Es war nicht die Absicht des fotografierenden Menschenfreundes Horst Schwarzer die Armut zu romantisieren. Und ich muss an ein Gedicht denken, welches die Zusammenhangslosigkeit zwischen materiellem Besitz und Freude (vielleicht sogar Glück) zum Thema hat. Auch diese Aufnahme ist ungefähr 68 Jahre alt. Ob der „Junge“ noch lebt?
China, im Reich der Sonne, vor etwa 70 Jahren. Oft fragt man sich: Wie ist der Fotograf oder die Fotografin dort nur hingekommen? Denn mir fällt es schwer mir vorzustellen, dass plötzlich dort, von dem Standpunkt, von dem wir dieses nun Bild sehen, ein Mensch steht, ein europäischer Tourist wohlmöglich, seelenruhig seine Kamera einrichtet, auslöst, und wohlmöglich den Verschluss neu spannt. Aber ganz offensichtlich war es so. Der Fotograf: Horst Schwarzer
Sehen Sie bald wieder vorbei, es werden wöchentlich mehr!